Sven Forell, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters ConIT aus Dülmen, gründete 2020 in den Räumen des Unternehmens den Coworking Space „dülmen.works“. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam, was für Vorteile es mit sich brachte und welches Potenzial Coworking für den Arbeitsmarkt bietet.
Sven Forell: Der Grund, warum wir den Coworking Space eröffnet haben, war zum einen das vorhandene Platzangebot und zum anderen, dass wir ein IT-Dienstleister, eine IT-Beratung, ein IT-Systemhaus sind. Ich war immer der Meinung: Wenn jemand ortsunabhängig arbeiten kann, dann wir. Gleichzeitig kannte ich das Problem, das man in Dülmen und anderen Kommunen als Start-up hat: Es fehlen Flächen und Plätze. Und es bleiben einem eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man mietet direkt ein Büro an – was als Einzelunternehmer meistens relativ schwierig ist – oder man macht es von zu Hause aus. Zu Hause hat aber immer den Nachteil, dass man die Kunden nicht am Wohnzimmer- oder Esszimmertisch sitzen haben will. Ich habe festgestellt, dass wir in Dülmen noch keinen Coworking Space haben und das gerade für kleine Firmen und Start-ups sehr spannend wäre. Man findet einen Anknüpfungspunkt, man kommt, mietet sich einen Besprechungsraum, hat eine Postadresse, hat aber kein großes Invest oder eine Bindung wie bei einem vollständigen Büro.
Sven Forell: Der Start war tatsächlich recht holprig, wir haben 2020 ja wirklich mitten in der CoronaPhase angefangen. Trotz Corona war das Echo, das wir bekommen haben, durchwegs gut. Also sowohl, dass alle Beteiligten, wie zum Beispiel die Wirtschaftsförderungen, das Thema sehr spannend fanden und es unterstützt haben, aber auch, dass wir eigentlich ab dem ersten Tag verschiedenste Mieter hatten: Bei uns waren Doktoranden, die über ein halbes Jahr hinweg ihre Doktorarbeit geschrieben und eigentlich an einer Universität im Ausland studiert haben, Gaming-Entwickler, die den ganzen Winter bei uns programmiert haben, kleine Einzelunternehmer und auch Start-ups, die mit einer Person begonnen haben und zum Schluss mit einem Dreier-Team bei uns saßen. Von daher würde ich schon sagen, dass die Grundidee aufgegangen ist.
Sven Forell: Wir standen irgendwann vor dem Problem, dass wir als ConIT Solutions, die diesen Coworking Space betreiben, gewachsen sind. Von daher mussten wir das Angebot wieder etwas einschränken, einfach weil wir selbst den Platz brauchten. Jetzt sind wir vor kurzem in neue Büroflächen gezogen und haben die Möglichkeit, Einzelbüros zu vermieten. Das hat dazu geführt, dass wir das Angebot etwas eingedampft haben und eine Art Bürogemeinschaft daraus geworden ist: Aktuell mit einem kleinen Unternehmen, das Software-Entwicklung macht, und einer freiberuflichen Fotografin, die auch mit unserer Marketing-Abteilung zusammenarbeitet. Wir kannten uns über den Coworking Space und beide sind dann mit uns in die neuen Büroflächen gezogen.
Sven Forell: Ja genau. Wenn wir über Coworking reden, handelt es sich um ein neudeutsches Wort für Bürogemeinschaft. Man stellt immer wieder fest, dass Einzelbüros sehr gut angenommen werden. Ich glaube, es ist noch nicht ganz angekommen, dass auch ein Shared Desk-Modell möglich ist. Viele Großunternehmen machen das noch nicht mit, was durchaus datenschutzrechtliche Gründe hat. Deshalb laufen Einzelbüros immer noch viel besser. Diese Anfragen von Unternehmen bezüglich Einzelbüros hatten wir 2020 auch – nur konnten wir diese Nachfrage damals nicht decken.
Sven Forell: Das Thema Coworking lebt davon, dass die unterschiedlichsten Branchen und Typen zusammenkommen. Der Vorteil, den wir gerade in der Anfangsphase von ConIT Solutions und der Gründung von dülmen.works als Coworking Space hatten, bestand darin, dass man sich mal an der Kaffeemaschine trifft oder anders ins Gespräch kommt. Jede andere Person, jede andere Branche hat auf die Geschichten, die einen herumtreiben, eine andere Sichtweise. Gerade dieser Erfahrungsaustausch ist sehr spannend. Ob das ein Einzelunternehmer, ein kleines Start-up oder ein etablierter CEO eines Unternehmen ist, der sich für einen Tag einmietet hat, ist ganz egal. Gerade diese Kombination ist sehr spannend – für alle Coworker, die hier sind.
Sven Forell: Die Kaffeemaschine ist tatsächlich immer noch ein riesiger Punkt, aber auch gemeinsame Mittagspausen, in denen man mit allen zusammen Essen bestellt. Der Kicker, der im Unternehmen ist, ist natürlich auch immer ein Anknüpfungspunkt und ansonsten unsere freitägliche Bierrunde, die wir regelmäßig gemacht haben. Der Vorteil war, dass wir solche Dinge bereits mit ConIT als Unternehmen gemacht haben und sich die Coworker dem einfach angeschlossen haben. Das heißt, wir haben als Coworking Space keine eigenen Initiativen gestartet, sondern das, was bei uns im Unternehmen vorhanden war, einfach ein Stück ausgeweitet und die Leute mitgenommen.
Sven Forell: Eine Sache, die wir 2020 schon angefangen haben, ist, dass wir mit der Stadt Dülmen einen Jungunternehmer- und Start-up-Stammtisch ins Leben gerufen haben. Das Ganze war damals ein Pilotprojekt, das aus einem Coworking-Workshop mit der Wirtschaftsförderung des Kreises entstanden ist. Es wurde so gut angenommen, dass wir das Thema einfach weiterentwickelt haben. Nach dem ersten Termin lag das Projekt mit der Corona-Pandemie jedoch erstmal flach. Wir haben damals mit einem Online-Biertasting gestartet, bei dem sowohl Coworker aus unserem Coworking Space als auch eine breite Masse an Gründern, Jungunternehmern und Nachfolgern angesprochen wurden. Dabei entstand eine schöne Runde. Im Jahr darauf haben wir das Format dann nochmal aufgenommen und intensiviert. Mittlerweile hat sich daraus ein fester Start-up-Stammtisch in Dülmen entwickelt, der sich einmal pro Quartal trifft. Der Netzwerk-Gedanke steht dabei im Zentrum, bei dem jeder Wissensimpulse einbringt. Wir hatten zum Beispiel letztes Jahr Vorträge zum Thema Social Media, KI, IT-Security und steuerliche Themen. Der Stammtisch ist für uns etwas, das wir immer gerne mitnehmen und mitmachen, auch wenn sich der Coworking-Anteil bei uns verringert hat.
Sven Forell: Ich glaube, irgendwann nervt es, nur zu Hause zu sein. Man prokrastiniert – so kenne ich das zumindest aus eigener Erfahrung. Home Office als „Modern Work“-Gedanke hat natürlich auch Vorteile, da man freier entscheiden kann, wann man seine Arbeit macht. Trotzdem fehlen irgendwann die sozialen Interaktionen und gerade da ist ein Coworking Space hilfreich. Wir selbst haben zum Beispiel im Kreis Borken ein festes Coworking-Büro für unsere Mitarbeiter, was den Vorteil bietet, dass die Leute noch einen zweiten Standort haben, zu dem sie kommen können, und nicht nur im Home Office sitzen müssen. Dort haben sie Austausch mit anderen Coworkern, die soziale Komponente. Sie kriegen andere Sichtweisen auf bestimmte Themen und „vereinsamen“ nicht so sehr wie im Home Office.
Sven Forell: Es hing damit zusammen, dass wir zum einen relativ viele Kunden im Kreis Borken haben und zum anderen gut 40% der Mitarbeiter von dort kommen. Wir stellen es den Mitarbeitern zwar frei, von wo sie arbeiten, ob aus dem Home Office oder aus dem Büro hier in Dülmen. Wir haben aber gemerkt, dass die Leute nicht ganz so weit fahren wollen, um ins Büro zu kommen. Daraus ist die Idee entstanden, Coworking für unsere eigenen Mitarbeiter im Nachbarkreis anzubieten. Der Vorteil dabei ist, dass man keine langen Bindungen hat und relativ flexibel ist. Es gibt keine Kapitalbindung. Wenn ich ein Büro anmiete, muss ich mich um einen Internetanschluss kümmern und habe gegebenenfalls eine Mindestmietdauer von zwei Jahren. Bei einem Coworking Space habe ich eine hohe Flexibilität bei diesem Thema. Trotzdem habe ich die Möglichkeit, meinen Mitarbeitern einen Standort zu bieten, der den Vernetzungsgedanken mit anderen Unternehmen einschließt. Mittlerweile haben wir das Coworking- Angebot für unsere Mitarbeiter ausgedehnt. Auch wenn sie weiter weg sind, haben sie die Möglichkeit, in andere Coworking Spaces zu gehen. Wir tragen vollständig die Kosten. Wenn wir zum Beispiel einen Kundentermin für zwei Tage in Hamburg haben, können wir dort in einen Coworking Space gehen. Auch für Workation ist das sehr sinnvoll.
Sven Forell: Ich glaube, es braucht ein Umdenken in der aktuellen Arbeitswelt. Ein „Modern Work“- Ansatz geht schon in die richtige Richtung. Corona war dabei ein guter Katalysator. Trotzdem habe ich das Gefühl, es hat sich noch nicht gänzlich durchgesetzt. Vermehrt höre ich, dass es viele Unternehmen gibt, die ihre Leute lieber wieder im Büro sehen. Einige haben jedoch auch die Büroplätze halbiert und schicken die Leute ins Home Office. Ich glaube, dass wir auch politisch etwas verändern müssten. Gerade Datenschutz ist ein wichtiges Thema. Die Frage ist immer, wie fasse ich diese gesamten Datenschutzkomponenten im Coworking an? Im Endeffekt sind die Leute und Unternehmen ein Stück weit selbstverantwortlich. Trotzdem muss es auch gesetzliche Grundlagen für gewisse Dinge geben. Daran scheitert es jedoch oftmals, weil keiner ganz klar weiß, wie man damit umgeht, wenn jemand irgendwas sieht. Arbeitsschutzseitig gibt es auch keine klaren Regelungen. Das sind Themen, die wir voranbringen müssen, bevor das Thema Coworking richtig Fahrt aufnehmen kann.
Sven Forell: Ja, zum einen gibt es die regulatorische Komponente, gleichzeitig muss aber auch ein Umdenken bei den Arbeitgebern stattfinden. Eine Pflicht zu Home Office bringt uns im Prinzip nichts. Bei den Arbeitgebern muss es klick machen, sodass sie ihren Mitarbeitern agiles Arbeiten freiwillig anbieten. Das ist jedoch vor allem ein technisches Problem. Wir als IT-Berater und IT-Dienstleister sehen, dass es in vielen Unternehmen technisch nicht möglich ist, dass die Mitarbeiter von woanders genauso arbeiten können wie im Büro. Es gibt immer irgendwelche Einschränkungen, die wir lösen müssen. Es geht in die richtige Richtung, aber ich glaube bis wir da sind, dauert es noch ein paar Jahre.